Strandstraße

Vorabveröffentlichung vor Korrektorat und vor Lektorat

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Schrifteinstellung

An einem sonnigen Morgen in schon warmen, späten Apriltagen schlüpfte ein Entenküken aus seinem Ei. Sie wusste noch nicht, dass sie Tapsi heißen würde, denn Enten geben ihren Kindern erst nach dem Schlüpfen ihren Namen.

Bin zum Einkaufen und am Meer

Kontrollverlust

„Es tropft durchs Dach“, denkt Gerd, als er den Wagen in der Halle parkt und vor dem Aussteigen, obwohl es draußen trocken ist, ein Tropfen Wasser, der sich mit seinen Kollegen irgendwo unter der Dachabdichtung gesammelt hatte, auf die Windschutzscheibe tropfte. Gerd zieht die Augenbrauen hoch und den Schlüssel ab. Er steigt aus. Nach dem Blick nach oben, beim Rausgehen, gilt sein nächster Blick der langen, ausziehbaren Leiter, die quer an Haken an der Wand hängt.
Beim Einfahren in die Garage konnte er sich schon einen Gesamteindruck über die Anwesenheitsstruktur seines Hauses machen. Alle Personen sind volljährig und alle sind mobil. Alle verfügbaren Fahrzeuge, die privat genutzt werden, stehen in der Garage oder, wenn gerade ausgeladen wird oder es gleich weitergeht, direkt vor dem Haus.

„Alle ausgeflogen“, murmelt Gerd.  Im Sommer an einem Samstagnachmittag wäre das der Normalzustand. Im Winter ist es schon etwas ungewöhnlich, denn die Region ist sehr wasser- und strandorientiert. Und dort pfeift gerade der Wind. Lange Spaziergänge durch die Wiesen und Wälder sind nicht unbedingt jedermanns Sache, gerade wenn man die Nähte ist oder in den frühen Zwanzigern, wie seine Töchter und sein Sohn. Als sie kleiner waren, konnte man mit dem Kino noch überbrücken, oder sie verausgabten sich sportlich oder donnerten mit ihren Rädern zu ihren Freunden, wobei sie auch den Tag rumbrachten, allein durch die Fahrzeiten. Jetzt waren sie alle im Alter der selektiven Wahrnehmung und der zweckgebundenen Aktivitäten. Nur selten machten sie einfach irgendetwas nur so. Gerd hatte schon vor geraumer Zeit aufgehört, zu spekulieren, wo jedes Mitglied seiner Familientafel sich gerade auch für halten würde. Wären sie noch jünger, hätte er ihnen ausnahmslos GPS-Tracker implantiert oder in die Schuhsohlen eingeklebt. Heute wäre es technisch keine Besonderheit. Er könnte entspannt zuhause am Computer sitzen und seine Familie über die Handys orten. Dann säße er damit einer Tüte Chips und wurde auf Karten sehen, wie seine Familie als farbige Punkte durch die Welt düsen. Leider sind sie alle volljährig und verlangen nach etwas, was er die letzten 25 Jahre nicht hatte: Privatsphäre.

Parksünden

Rauf zur Eingangstür, einer zweifarbig gestrichenen Tür, mit schweren, farbig abgesetzten Holzornamenten mit einem Sichtfenster in Kopfhöhe darin. Er öffnet die Tür und kommt in den Eingangsflur, der etwas von einer Eingangshalle hat, jedenfalls von der Fläche, aber nicht von der Höhe, weil die Treppe links direkt nach oben führt und an Schnickschnack wie eine Galerie beim Bau des Hauses niemand gedacht hatte. Nun auf dem alten Bauerntisch, der an der Wand rechts steht, hinter dem Durchgang zur Küche, die man aus zwei Richtungen betreten kann, legt er seine Schlüssel in die auf den bestehenden stehende Metallschale, sodass in jedem Fall ein klimperndes Geräusch entsteht, wenn Metall auf Metall trifft, selbst wenn, so wie jetzt, gerade kein anderer Schlüssel in der Schale liegt. Von Frühjahr bis Herbst steht auf dem Tisch auch eine Vase mit Blumen, die fast ausgeblutet sind und von ihrem Grundstück stammen. Bitte steht diese Weise irgendwo, in einem Ort, den Gerd vielleicht kennt, aber nicht mit der Vase in Verbindung bringt. Unter der Tischplatte ist eine einzige Schublade. In dieser liegen Ersatz- und Zweitschlüssel. Als besonders hilfreich hat sich erwiesen, hier die Zweitschlüssel sämtlicher kreuz und quer geparkter Fahrzeuge in der „Stallgaragehalle“ hier vorrätig zu haben, falls umgeparkt werden muss. Es war weder so, dass diese grandiose Idee kam, bevor es die ersten Probleme gab, noch war es so, dass es nach der Einführung dieses Systems durch die Bank angenommen wurde und reibungslos funktionierte. Damit es funktioniert, hat Schwiegermutter eine Regel eingeführt. Auch wenn sie im Nachbarhaus, auf der anderen Seite der Garage wohnt, parkt auch ihr elektrisch betriebenes, sommerliches Gefährt in der gemeinschaftlich genutzten Garage. Unvorstellbar, dass sie zugeparkt wäre und nicht zu ihrem Santana nach Kühlungsborn an den Strand fahren könnte. Sie nennt es eine geliebte Gewohnheit. Die Tatsache allerdings, dass sie diese Gewohnheit mit militärischer Härte und neurochirurgischer Präzision umsetzte und beibehielt, ist über die Jahre mehr als Gewohnheit oder eine Marotte geworden. Es war Teil ihres Selbstverständnisses und Beurteilungsgrundlage der Aufrechterhaltung ihres Ordnungssystems. Die Neuerung, die sie einführte, kam Gerd nicht wirklich ungelegen. Sie, seine Schwiegermutter, die ansonsten mit Software und Technik nicht viel an der von ihr geliebten, gewachsenen Basecap hat, hat mit allen Familienmitgliedern mehrere SMS-Codes ausgemacht, die bestimmte Handlungen auslösen sollten. In Anbetracht der Allgemeingültigkeit dieses Interesses hat der Familienrat sogar einstimmig zugestimmt, wenngleich es, entsprechend der Dringlichkeitsstufe der SMS drakonische Strafmaßnahmen des ebenfalls beschlossenen Strafkataloges gab. Im schlimmsten Fall gab es die Verpflichtung, das Handy dauerhaft auf Empfang und die mögliche Geolokalisierung freigeschaltet zu haben. Zwei Fliegen mit einer Klappe: Die Mitglieder der Familie können das umgehen, indem sie ihr Fahrzeug außerhalb des Grundstücks parken, was keiner will und keiner macht, nicht aus irgendwelchen Sicherheitsgründen, sondern aus reiner Bequemlichkeit. Eine weitere Regel, die allerdings unausgesprochen war und deren Missachtung keine Folgen gemäß einem Strafkatalog hatte, war, dass, sollte tatsächlich die letzte Person das Haus verlassen haben, ein Zettel hingelegt würde, wo sie, die Person, ist, oder ob irgendetwas passiert war. Meistens war das Gerds Ehefrau oder Gerd selbst. Heute liegt auch eine kleine Notiz auf dem College-Block im DIN-A6-Format. Eigentlich könnte man nach amerikanischem Modell Standardmeldungen als Magnetschilder am Kühlschrank festbappen. Es gibt einige Nachrichten, die sich immer wiederholen, und dennoch ist das erneute Ausschreiben doch Ausdruck der Besonderheit des Momentes, der jeweils einzeln gewürdigt wird und nicht wie ein Fahrer oder Stundenplan nach bekannten Einzelereignissen abgearbeitet wird. Eine Besonderheit ist seine Schwiegermutter. Die schafft es sogar, den regionalen Busfahrplan als erlebnisreiche Reise zu vermarkten. Das Besondere daran: Sie selbst ist davon überzeugt und begeistert.

„Ich bin zum Einkaufen und am Meer.“

Diesen kurzen Hinweis hat Gerds Frau ihm hinterlassen. Die Nachricht ist sehr vertraut und doch war sie wieder frisch aufgeschrieben. Sie sind nun 26 Jahre verheiratet, und nichts ist mehr wie am ersten Tag. Manchmal zoffen sie sich sogar wie ein altes Ehepaar, aber dann ist es auch wieder so, als würden sie gerade gemeinsam und gegeneinander darum ringen, wie sehr gemeinsames Leben in Zukunft gestalten wollen. Gerd blickt aus dem kleinen Fenster in der Tür Richtung Kühlungsborn, das er von hier aus nicht sehen kann, mit dem Gefühl einer Zufriedenheit, die nichts mit Selbstzufriedenheit zu tun hat, sondern mit dem Grundton der ruhigen, entlastenden und entlasteten Betroffenheit, jenem Gefühl, aus dem Glücksmomente erwachsen.

 


„Mäuschen, wenn du dich nicht benimmst, gehen wir auch im Winter an den Hundestrand und danach liefere ich dich bei meiner Mutter ab.“

Gerds Frau Heike hat ihre Kinder alle ins Erwachsenenalter geschoben. Es hat funktioniert. Keiner von ihnen hat sich bisher als derart sozial gestört herausgebildet, dass man sich Sorgen um andere machen müsste. Anders lief es bei dem Köter hier. Da muss was danebengegangen sein in der Erziehung. Der macht, was er will. Wenn er gute Laune hat, lebt er sie aus. Er ist oft gut gelaunt. Leider ist es nicht nur die Freundlichkeit, die einen anspringt.

„Gleich kommtst du wieder an die Leine.“ Ein kleiner Schauer fährt Heike über den Rücken. Sie kennt das Gefühl; es ist weder angenehm, noch unangenehm, und dennoch ist es sowohl freundlich vertraut, als auch eine Warnung. Ihre Mutter muss in der Nähe sein. Das ist nicht ungewöhnlich, damit war sogar zu rechnen. Ihre Mutter trinkt ihren Santana auch im Winter. Da ist sie zwar häufig nicht zu lang unterwegs und trinkt auch keinen Alkohol, sondern einen heißen Sanddorn, wobei sie darauf besteht, dass er aus der eigenen Produktion kommt. Sollte im Sand dann doch ein Schuss Alkohol sein, wäre das nichts, was sie oder andere an die große Glocke hängen würden. In jedem Fall sind die Mengen, die sie konsumiert, so gering, dass, wenn sie selbst fährt, und das tut sie häufig, ihr Promille-Testwert zumindest eine Null hinter dem Komma aufweist.

„Nein! Nicht anspringen! Nicht lecken! „Hund, bleib mir vom Leib!“

„Mutti, nenn ihn nicht immer Hund. Er hat einen Namen.“

„Den hat er. Und was für einen. Hättet ihr ihn nicht Ajax, Benno oder sonst wie nennen können?“