Strandstraße

Vorabveröffentlichung vor Korrektorat und vor Lektorat

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Schrifteinstellung

An einem sonnigen Morgen in schon warmen, späten Apriltagen schlüpfte ein Entenküken aus seinem Ei. Sie wusste noch nicht, dass sie Tapsi heißen würde, denn Enten geben ihren Kindern erst nach dem Schlüpfen ihren Namen.

Sieben Damen auf der Hand

Null ist nicht nichts

„Null?“

„Ich bin weg! Also spiel!“

„Jetzt spielt er schon wieder! Wo waren wir?“

„Bei null.“

„Auch das noch!“

Wie jeden Samstag um siebzehn Uhr sitzen die drei Männer, zwei von ihnen auf der in die Jahre gekommenen Eckbank und einer auf einem der raumseitigen Stühle, in dem Dorfgasthof am Fuße der Kühlung, nur wenige Kilometer entfernt von den im Sommer so belebten Stränden der Ostsee. Der Sommer ist schon lange vorbei. Kürzer werden die Tage nicht mehr, deren langer Atem und ruhiger, kräftiger Herzschlag einen Moment vergessen lässt, dass durch die Schönheit der Landschaft nahezu die gesamte Region in der Unterhaltungsbranche tätig ist. Eigentlich heißt es Tourismus; tatsächlich es ist mehr. Am heutigen Tag ist, so wie in den vergangenen Tagen und wie es auch in den nächsten Tagen sein wird, davon nichts zu spüren. Sie sind die einzigen Gäste im Gasthof.

Jeden Samstag spielen sie Skat in dem kleinen Gastraum. Gerd, der Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes, der sich hauptsächlich mit Aufzucht und Verarbeitung von Sanddorn beschäftigt, der Tierarzt Dr. Steffen Wilders aus Kühlungsborn und der Malermeister Heinrich Berkel aus Bad Doberan. Die drei kennen sich seit der Schulzeit und wenn etwas Bestand in ihrem bisherigen Leben hatte, dann ihre Skatklopperei, die sich früher nicht nur auf Samstage beschränkte. Skatspielen war und ist für sie immer nur Anlass, beieinander zu sein und irgendetwas in Händen zu halten, während sie sich über ihr Leben unterhielten. Sie kommunizieren so, wie sie spielen. Nicht mit letztem Einsatz. Nicht mit vollem Biss. Warum auch? Das Spiel war schon immer so unwichtig und keiner der Männer neigt zu impulsiven Entscheidungen, die sich nicht mehr korrigieren ließen.

Das neue Jahr hat gerade begonnen und in ihren jeweiligen Betrieben läuft es noch etwas gemächlicher. Jetzt will keiner mehr den Maler im Haus haben, es sei denn, man zöge gerade aus. Für Heinrich Berkel wird es im Frühjahr stressiger werden oder aber schon früher, wenn der Winter noch knackig daherkommen sollte, einige Leitungen platzen und das Wasser die Wände hochzieht. Für den Tierarzt Steffen war auch weniger zu tun. Sowohl auf den umliegenden Gestüten und Reiterhöfen als auch beim fehlenden Andrang zum Impfen der Haustiere.

Der Hof

Gerd Baller, seines Zeichens Obstbauer, der sich im Hauptgeschäft dem Sanddorn verschrieben hat, ist irgendwie immer mit seinem Hof beschäftigt. Natürlich sind es die ganz praktischen Dinge, die den Arbeitsalltag gestalten, wenn man mit saisonalen Ernten zu tun hat. Das ist nicht anders als bei den Hotels, wenn diese im Hochsommer immer voll ausgebucht sind. Da müssen alle begleitenden Tätigkeiten, schon im Vorwege, zumindest geplant und vorbereitet sein. Zu dieser Jahreszeit jetzt gab es für Gerd und seine Mitarbeiter bei den Pflanzen nur noch den winterlichen Rückschnitt zu erledigen. Das war erforderlich, um hohe Erträge an den Sanddornpflanzen sicherzustellen, genauso, um dafür zu sorgen, dass die Pflanzen nicht zu groß werden weil sie in den inneren, verholzten Bereichen keine Früchte tragen. Diese finden sich ab Juli und August an den jungen Trieben in Mengen, wie Perlen aufgereiht. Der Sanddorn ist die Kulturpflanze der Region. Ihr weit und tief reichendes Wurzelwerk verschafft dem kräftigen, bedornten Busch, der, wenn er nicht in Reih und Glied in einem Gartenbetrieb steht durchaus an der Höhe und Breite von über 5 m erreichen kann, einen sicheren Stand. Der Sanddorn liebt karge, sandige Böden und selbst wenn diese etwas salzig sein sollten, so verträgt er das. Es gibt nicht viele Pflanzen, die sich mit dem Sanddorn um die für ihn lebensnotwendigen, sonnigen Plätze auf den Dünen an der See streiten. Gerd Baller liebt den Sanddorn und was man aus ihm gewinnen kann. Die Vielfalt der Weiterverarbeitung hat es ihm besonders angetan und so stellt sein Familienbetrieb fast alles her, was aus Sanddorn zu produzieren geht. Hierbei sind auch Produkte, die nicht aus rein wirtschaftlichen Gründen hergestellt werden in der Palette enthalten, weil sie irgendwie dazugehören, auch wenn der Aufwand nicht durch den Gewinn gerechtfertigt wird. Die Produktionsanlagen der Familie sind größer, viel größer als die eigene Ernte es erfordert. Gerds Familie ist mit den anderen Sanddornbauern bestens vertraut, wenn nicht sogar verwandt, und kauft Sanddorn für die Verarbeitung dazu. Wenn man ein altes Haus hat und einem pflanzenbasierten landwirtschaftlichen Betrieb der nur Bio Qualität liefert, dazu eine breite Produktpalette und auch die sogenannte Biodiversität nicht zu kurz kommen lassen will, sehen etliche Bereiche des Hofes in großen Teilen des Jahres aus, wie ein blühendes Idyll. Das sind nicht nur die Blüten, die erforderlich sind, um den auf dem Hof befindlichen Bienenvölkern Nahrung zu liefern, um den dann gewonnenen Honig mit Sanddornmark anzureichern. Es sieht auch nicht nur so aus, weil es ein Markenzeichen der Region wurde die Natur zu schätzen und die Art des Umgangs mit der Natur auch touristisch zu nutzen und sich auch Ferienwohnungen und Gästezimmer auf dem Hof befinden. Losgelöst von alledem lag es in den bäuerlichen Genen und Knochen, die eigene Umgebung und die Umgebung der eigenen Kinder so in Schuss zu halten, dass die Übergänge zwischen Kultur und Naturlandschaft, außer bei groß angelegten Feldern, die, wie beim Raps, können auch ihre eigene Schönheit haben können, fließend sind. Der Hof von Gerd und seiner Familie, der eigentlich seiner Schwiegermutter gehört, ist nicht einfach nur ein altes Gutshaus mit Nebengebäuden auf dem Höhenrücken der Kühlung mit einem fantastischen Ausblick nach Kühlungsborn und auf die Ostsee – es ist mehr. Es ist die Leidenschaft, mit der er, seine Familie und ihre Mitarbeiter sich um die Pflanzen kümmern und die Früchte zu hochwertigen Bioprodukten verarbeiten. Sie kümmern sich nicht nur um ihre Nutzpflanzen, sondern um die gesamte Flora und Fauna in ihrem Arbeits- und Lebensbereich. Dieses Selbstverständnis ersetzt nicht den professionellen, ökonomischen Umgang mit Nutzpflanzen aber es ergänzt diesen liebevoll, auch wenn Gerd noch völlig im Unklaren über seine Nachfolge auf dem Hof ist. Bei allem Ärger, der von draußen in die Familie hineingetragen wird oder der in der Familie selbst entsteht, schweißt das gemeinsame Kümmern um die Schönheit zusammen.

“Wer spielt was?”

„Grand Hand!“, sagt Steffen Wilders.

„Na toll“, sagt Gerd Baller. „Bekommt das Ding bei null, verzichtet auf den Skat … Und jetzt will er wohl mit vier Bauern durchziehen.“

„Eher ohne vier Bauern“, sagte Heinrich Berkel.

„Upps!“, entgegnete Gerd Baller. Es war alles gesagt und es ging nur noch um die Verteilung der Farben und der hohen Werte.

„Tja Gerd“, sagt Steffen. „Es scheint ein bisschen zu sein, wie bei euch zu Hause. Kaum glaubst du, ein Spiel ruhig durchspielen zu können, ohne Störungen, ohne dass eine deiner vier Töchter gleich wieder verliebt loszieht, steht mir nichts dir nichts wieder mal ein gut aussehender junger Mann bei dir in der Wohnküche.“

„Ganz genau wie hier“, sagt Steffen und knallt den Pik Buben auf dem Tisch.
Gerd blickt Steffen an, kneift die Augen zusammen und grinst breit.

„Anders als Zuhause, werden hier die Buben bedient.“ Gerd legt ein Herz As zum Buben. Er ist sich sicher, dass Heinrich, der vollmundig behauptete, dass Steffen eher ohne vier Buben spielen würde, beim Bedienen mit dem Kreuzbuben stechen würde.

Nichts davon passiert. Heinrich legt grummelnd den Herzbuben dazu.

Es geschieht, was immer geschah: Das Spiel entgleitet ihnen körperlich, indem sie Karte für Karte ablegen und inhaltlich, weil die drei so viel mehr als dieses eine Kartenspiel miteinander verbindet. Das Spiel hält sie auch zusammen – Aber anders, als es viele andere Routinen getan hätten. Intensiver Sport wäre viel zu aufwendig. Golf spielte nur Steffen, weil auch viele seiner Neukunden, gerade auch die mit Zweitwohnsitzen in der Region häufig auf dem Golfplatz sind. Gerd war genug an der frischen Luft, da muss er nicht auf den Golfplatz, meint er. Bei Schmuddelwetter draußen zu sein, stand bei keinem der drei ganz oben auf der Liste der Begehrlichkeiten, auch wenn Wetter kein Thema hier ist, weil es passiert. Das bezieht sich nur auf das menschliche Wohlbefinden. Bei Nutzpflanzen versteht ein Bauer keinen Spaß, wenn es um das Wetter geht. Die drei Freunde hatten es mal mit Grillen probiert. Es klappte zunächst, auch wenn sie schnell kapiert hatten, dass sie das nicht zu Hause machen konnten. Keine Ruhe. Immer waren auch Familienmitglieder dabei. Also suchten sie sich damals einen Grillplatz. Er scheiterte an Gerd. Seine Frau und Töchter entschieden von einem Tag auf den anderen, nachdem sie ein Bericht über Massentierhaltung im Fernsehen gesehen hatten, sich nur noch vegetarisch zu ernähren – und Gerd musste mitmachen. Das war nur eine Phase aber die Frauen seiner Familie waren wie Detektive auf der Suche nach dem Geruch von Fleisch oder Röstaromen an ihm oder in seinem Atem. So weit, dass er jetzt Zucchini oder Auberginen auf den Grill legt, während bei seinen Kumpels die Paprika und Zwiebeln nur dazu dienten, die Fleischstücke auf ihren Riesenspießen voneinander zu trennen, ließ Gerd es nicht kommen. Außerdem war das Grillen im Winter auch nicht immer urgemütlich. Aber feste Termine sind nun mal dafür da, eingehalten zu werden.

Jäger, Sammler … und Angler

Sie versuchten es sogar mit Angeln. Das liegt nahe. Direkt vor der Tür haben sie wunderbare Angelreviere in der Ostsee. Sie müssen nicht mal mit dem Boot rausfahren. Sie können ganz einfach vom Strand oder von einer der Seebrücken die Angeln auswerfen. Sie nannten es allerdings Strandangeln und nicht Brandungsangeln. Bei aller Liebe und dem Wissen um Herbststürme und Hochwasser aber sie sind hier nicht am Skagerrak. Hinzu käme, dass sie, wenn sie einen vernünftigen Fang hätten, was nicht unwahrscheinlich ist, mit wunderbarem Fisch nach Hause kämen und sogar Gerd seine Familie, die mittlerweile wieder zu einer gemischten, aber Tierwohl-orientierten Ernährung gewechselt haben, erfreut hätte. Hätte! Wie bei so vielen Dingen Leben, hat auch das Angeln einen Haken – selbst wenn man das Vorfach samt Doppelhaken, Blinker und Blei außer acht lässt. Die Fische beißen nicht zu jeder Jahreszeit und zu jeder Tageszeit gleich gut. Hinzu kommen die Schonzeiten in bestimmten Monaten, für bestimmte Tierarten. Die drei Männer sind hier aufgewachsen. Sie wissen wann, wo, welche Fischart in welcher Größe zu finden ist. Alle drei sind Angler und alle drei sind Jäger. Das ist nicht wie beim Skat spielen, sondern Jagd, Erfolg und Grundversorgung. Da hört der Spaß auf. Ausgerechnet am Wochenende dann noch zusätzlich zwei Stunden früher aufzustehen, und zwar jede Woche, um seine beiden Freunde im eitlen Wettstreit, schweigend in den auflaufenden Wellen zu besiegen, passte so überhaupt nicht zu den Zielsetzungen der drei, die sie mit den wöchentlichen Treffen verbanden.

„Vielleicht sollten wir mal wieder angeln gehen“, sagt Steffen.

„Was hast du vor?“ Gerd grinst ihn an. „Sandbank oder Leopardengrund?“ Damit war alles gefragt.

„Ich dachte: Sandbank“, sagt Steffen.

„Wenn du einen großen Alten nach Hause bringst, kannst du deine Familie beeindrucken.“

„Das ist wirklich leichter gesagt als getan bei dem Wetter und der Jahreszeit und die Lütten von den Platten sind mir zu lütt, selbst wenn sie knapp über dem Mindestmaß liegen. ich habe auch keine Lust, dass mich ne sechsundzwanzig Meter-Welle holt.“

„Sechsundzwanzig Meter? Mann Gerd! Das ist fast dreißig Jahre her und das war am Darß. Du warst nur zufällig in der Nähe und nicht mal auf dem Wasser.“

„Nee, nee. Lass mal gut sein. Nu ist erst mal ein büschn Ruhe angesagt. Ich muss mich auch meine Familie kümmern. Die Mädchen haben alle Grappen im Kopp. Die flattern rum, wie ne Tüte Mücken.“

„Du sabbelst Blödsinn“, sagt Steffen und schlägt seinem Freund sanft auf die Schulter. „Du liebst sie doch, deine Tüte Mücken. Wie nennst du sie noch gleich deine Frau und deine vier Töchter? War es nicht: `Die Perlen der Kühlung´, wie du sie genannt hast?“

„Sie sind Perlen und sogar meine Schwägerin ist ganz erträglich. Aber warum musste ich ausgerechnet vier Töchter bekommen. Alle verschieden aber eine schöner als die andere. Und schlau sind sie auch – es sei denn sie verlieben sich. Dann vergessen Sie alles. Ich habe es mir leichter vorgestellt. Mit einem verzinkten zwanzig Liter Eimer mit kaltem Wasser ums Haus gehen und die Jungs wie Hunde zu vertreiben, funktioniert nicht mehr. An praktische Dinge ist gar nicht zu denken.“

„Praktische Dinge?“

„Naja, den Hof zum Beispiel, den würd ich praktisch nennen. Ich hab keine Ahnung, ob und wenn, wer den Hof übernehmen will. Dabei ist es genau jetzt, wo wir die Weichen für die Zukunft stellen müssen.“

Ein Businessplan für … wen?

„Von welchen Weichen sprichst du?“, sagt Steffen. „Und überhaupt, will nicht dein Sohn Tobi den Hof übernehmen oder zumindest mit übernehmen?“

„Tobi? Das wollte er mal. Es war sein größter Wunsch. Dann machte er seinen Schulabschluss. Jetzt feiert er Partys und hat jede Woche eine neue Freundin. Er hat nicht einmal ein Interesse an einer dauerhaften Beziehung. Seine Zwillingsschwester Caro treibt es nicht ganz so bunt, aber nach sesshaft werden wollen sieht mir das auch nicht aus. Wir müssen uns entscheiden, in welche Richtung wir den Hof weiter entwickeln. Wir wissen noch nicht woher das große Sanddornsterben kommt. Die Flächen können wir nicht ewig vorhalten und mit der geringen Ernte steigen unsere Produktionskosten und natürlich unsere Produktkosten. Irgendwann fällt einer um und streckt seinen Nektar mit dem chinesischen Mist. Dennoch müssen wir sehen, wo wir bleiben. Noch mehr Fremdenzimmer ist auch riskant. Da braucht nicht mal eine Pandemie zu kommen – da reicht schon ein verregneter Sommer und das Geld wird auch nicht von alleine mehr werden. Was willst du machen, wenn ein Palmenstrand in der Dritten Welt günstiger ist als unsere Heimat? Work-Life-Balance und für den Regenwald demonstrieren?“

„Also bitte! Du willst doch hoffentlich weder einer Urlaubsregion mit Palmen vorwerfen, dass sie sich touristisch vermarktet, noch einer deutschen Familie vorschreiben, wohin sie in Urlaub fährt – und zu welchem Preis“, sagt Steffen.

„Natürlich nicht. Es sind alles Faktoren, die nicht nur mein Handeln, sondern das Handeln unserer ganzen Region und unsere Planungen beeinflussen. Die Zeiten sind schnell. Da versuch mal Substanz zu schaffen. Es hängt alles irgendwie zusammen. Wenn ich jetzt einfach von Sanddorn auf Schlehe umsteige, was passiert dann?“

„Mit Schlehe kannst du weniger machen. Dann wirst du halt hauptberuflicher Schnapsbrenner“, sagt Heinrich Berkel.

„Ganz tolle Idee“, sagt Gerd. „Vor dem Hintergrund, dass viele gerade umsteigen, auch auf Schlehe, ist es für die Branche sicherlich besonders förderlich, dass insgesamt der Alkoholkonsum abnimmt. Die Bierbrauereien, die nicht rechtzeitig auf Alkoholfreies umgestellt haben, beziehungsweise die alkoholfreie Produktion hochgefahren haben, sind in der Krise und ausgerechnet ich fang an Schnaps im großen Stil zu brennen. Ganz einfach, dann rufe ich Günni an und wir erfinden gemeinsam bei einer Verköstigung den Namen für ein hippes Trendgetränk, machen ein tolles Logo und der Bonsche ist gelutscht. Nein mein Lieber. So leicht ist es nun leider nicht. Ich wünschte, es wäre so. Ich habe nur den Riesenvorteil, dass der Hof und die Anlagen nicht mehr belastet sind und wir ausreichend auf der hohen Kante haben, um zu investieren, wenn wir müssen. Ich wüsste halt nur allmählich zu gern, mit wem in der Familie ich mich darüber ernsthaft unterhalten kann.“

Butter bei die Fische

Steffen, der mittlerweile die Runde, und zwei weitere gewonnen hatte, runzelt die Stirn und spitzt die Lippen, während er den Kopf senkt und Gerd direkt, über das Gestell seiner Brille mit den kreisrunden Gläsern in die Augen sieht. „Also, genau genommen ist es ja gar nicht dein Hof sondern der Hof deiner Schwägerin und deiner Frau und ganz genau genommen ist es noch mehrheitlich der Hof deiner lieben Schwiegermutter.“

Gerd hält dem Blick seines Freundes stand und verzieht keine Miene während er zwei Asse mit einer Trumpfkarte, der Sieben einkassiert. „Meine Frau versucht das System Familie und Hof stabil zu halten, in dem sie sich um alles kümmert aber nichts verändert. Meine Schwägerin sollte längst verheiratet sein – zumindest denkt sie das und es bestimmt ihr Leben – von morgens bis abends. Kommen wir – nicht zum ersten Mal – zum Highlight meiner Familie, ihr beide kennt sie gut und ihr wisst genau, wie abwegig die Frage eben war, meine Schwiegermutter. Da der Freigeist der achtundsechziger Jahre ihr damals entgangen ist, holt sie alles nach. Sie tut zumindest so, als sei ihr völlig egal, wie ich mit ihrem Hof wirtschafte. Sie findet alles nur hübsch, oder es steht ihr im Weg rum, wenn sie sich aufmacht, am Strand oder in einem Hotel in Kühlungsborn ihren täglichen Sundowner zu sich zu nehmen.“

Steffen nickt langsam mit dem Kopf und lächelt. „So ist sie. Sie ist eine echte Marke. Wenn es sie nicht schon gäbe, müsste man sie erfinden. Sie ist ein Gewinn und ihre gute Laune ist ansteckend.“

Heinrich grinst. „Und wenn sie schlecht drauf ist, geht man hier besser aus dem Weg. Sie kann aber auch ordnungsliebend streng sein. Vielleicht setzen wir sie mal gezielt auf Tagestouristen an.“

Steffen dreht den Kopf, blickt ihn an und zieht die Augenbrauen hoch.

„Nein! Komm mir jetzt nicht so Steffen!“, sagt Heinrich. „Ich kenne die Erhebungen und Analysen, dass sogar die Tagestouristen wirtschaftlich von Vorteil für unsere Region sind. Was in der Analyse aber nicht berücksichtigt wurde, ist – und das ist nicht nur mein Eindruck allein – dass allgemeine Benimmregeln und Höflichkeitsformen bei den Tagestouristen deutlich weniger verbreitet sind als bei anderen Touristen.“

Steffen runzelt die Stirn, als würde er angestrengt nachdenken, was faktisch nicht der Fall ist. „Rein logisch heißt es aber nicht, dass wenn sie sich nicht gut benehmen, sich automatisch schlecht benehmen würden.“

Heinrich prustet mit einem Schluck Bier im Mund plötzlich los. „Sowas kann ja nur von dir kommen. Alleinstehend und froh, wenn die Katzen und Köter in deinem Wartezimmer nicht übereinander herfallen.“

„Darauf trinke ich. Prost!“

„Prost!“

„Prost!“

Nach dem Anstoßen trinken die drei zeitgleich den Rest ihrer Kaltgetränke im Glas.

„Rosi! Die Rechnung bitte.“

„Gerd, bist du heute mit Zahlen dran?“, ruft Rosi, die Inhaberin der „Dünenkate“ zurück.

„Jo!“

„Warte gleich noch mal. Ich will dir ein Paket für Tilda mitgeben“, sagt Rosi und geht, nachdem Gerd gezahlt hatte, gleich wieder nach hinten und sie scheint im Lager herumzukramen.
Die Dünenkate, ein kleines, mittlerweile mit Dachpfannen gedecktes Backsteinhaus steht seitlich am Ende einer alten Allee aus immer wieder zurückgeschnittenen Linden, deren oberster Teil vom Stamm wie ein Kugelkopf aussieht. Jetzt, im Januar sehen sie besonders kärglich aus, aber es fällt nicht schwer, sich vorzustellen wie akkurat und prachtvoll sie im Frühling und Sommer bis in den Frühherbst die schmale Straße flankieren. Die Stellplätze, die sich mehr oder weniger vor der Dünenkate ergeben, sind nur mit sandigem Lehmkies befestigt. Die Männer stehen an ihren Autos, verabschieden sich, während Rosi mit einem Paket im Arm schnellen Schrittes herangerauscht kommt. „Mach die Heckklappe auf! Los!“, sagt Rosi hastig.
Gerd hechtet zur Heckklappe seines Geländewagens, öffnet diese und Rosi schmeißt das Paket hinten rein.

„Ich frag gar nicht, was drin ist“, sagt Gerd. Der Satz war nur so dahingesagt. Gerd erwartet überhaupt nicht, von Rosi zu erfahren, was in dem Paket ist – genauso wenig wie Rosi Anstalten macht, dass sie es erzählen wollte oder es ihn zu interessieren hätte.

„Macht’s gut Jungs! Bis nächste Woche!“

„Tschüss Rosi.“