Robert Rise ist am Ende. Er blickt zurück auf eine Karriere von über zwanzig Jahren als Profikiller. Das ist in der Branche nicht wenig. Auch wenn er früh angefangen hatte, seine Fähigkeiten mit seiner Berufswahl zu verbinden, ging es mittlerweile in die Knochen. Nicht das Laufen oder Abducken war belastend, denn das gab es auf seinem Level nicht, sondern das Warten. Warten und Warten sei dasselbe, sollte man meinen. Irrtum. Robert glaubte schon alle Facetten des Wartens erlebt zu haben und alle Formen von Spannungen, Erfolgsdruck, und Eitelkeiten. Das Warten heute hatte soeben seine Leidensfähigkeit in Geduld und Anspannung über Gebühr belastet. Hier und heute würde sich sein Schicksal erfüllen, in dem Moment, wo ihm alle Auswege verbarrikadiert sind. Er hat es kommen sehen und selbst alle Voraussetzungen dafür geschaffen, in diese ausweglose Situation zu kommen. Hier in New York, wo seine Karriere begann, würde sie enden.
„Herzlichen Glückwunsch! Es sind zwei Mädchen und sie sind gesund!“
Robert ist außer sich, was aber sämtlichen angehenden Vätern und Familienmitgliedern auf der gebotenen Station des Mount Sinai Krankenhauses verborgen bleibt. Er hatte gelernt, seine Gefühle zu verbergen, seine Gedanken und seinen Körper zu beherrschen, um bereit für die richtige Regung im richtigen Augenblick zu sein.
„Danke Doc!“ Robert steht auf und setzt sich wieder, bevor seine Beine ganz durchgestreckt waren. Eine unnötig überflüssige Aktion für ihn. Es hatte also tatsächlich schon begonnen – die Unsicherheit, die nicht einfach auf Aktion und Reaktionsvariablen zurückzuführen war, die aus seinem Leben verbannt hatte, um besser zu sein als alle anderen, mit denen er das gleiche Berufsbild teilt, hatte Macht über ihn ergriffen. Robert war fasziniert davon, was mit ihm im scheinbaren Chaos geschah, denn er war keineswegs unvorbereitet. Dass Robert seine Gefühle kontrollierte, hieß nicht, dass er ein Soziopath war. Er hatte alles so vorbereitet, wie andere angehenden Väter es auch vorbereitet hätten. Nur der Grad an Komplexität und erhöhte Erfordernisse zur Abwendung von Risiken für das Leben seiner Familie waren mit mehr Aufwand verbunden, als das Kinderzimmer einzurichten und den Sportwagen durch eine Familienkutsche zu ersetzen oder sich für die nächsten dreißig Jahre an eine Immobilienfinanzierung zu binden. Das galt und wird immer gelten für seinen Ausstieg aus einem Business, das seine eigene Definition und eigene Mechanismen hat, wie mit Aussteigern zu verfahren ist.
Roberts Vorteil ist, dass ihn keiner kennt. Diejenigen, die ihn ins Geschäft gebracht hatten, leben nicht mehr und es gibt keine Verknüpfung zwischen seinem damaligen Berufseinstieg und seinem jetzigen professionellen Leben. Der immense Aufwand, den Robert mit Tarnung und Verschleierung in allen Bereichen seines Berufslebens, von der Auftragsannahme, Beschaffung von Produktionsmitteln, der Auftragsabwicklung und der Bezahlung betrieben hatte, sollte sich jetzt dahingehend auszahlen, dass seine Familie und er von seiner Vergangenheit unbehelligt bleiben würden. So die Theorie. Robert ist ausgestiegen. Unumstößlich seit nicht einmal zwei Minuten. So einfach. Es gab keine Klagen zu seinen bisherigen Arbeiten; er hat keine laufenden Verfahren, und der Vorteil seines Berufes ist, im Gegensatz zu einem Dachdecker, dass es keinen Sinn machte, nach der Erfüllung eines Auftrags die akkurate Aufrechterhaltung des Status zu gewährleisten. Der Nachweis der Erfüllung hingegen war nicht immer ganz leicht, was ihn dazu in seiner Karriere bewogen hatte, öffentliche Hinrichtungen zu bevorzugen und dabei sicherzustellen, dass die Verletzung so stark und offensichtlich war, ohne in Rauch auf- oder unterzugehen, dass sich eine medizinische Versorgung erübrigte. Es gab Fälle in seinem Leben, wo selbst das als Beweis nicht ausreichte, wenn Doppelgänger der Zielperson eingesetzt wurden. Auch das Spiel war nicht neu, und genaue Beobachtung, sowie die Vorbereitung gehören viel stärker zu den in seinem Berufsbild erforderlichen Qualifikationen, als im richtigen Moment die eigentliche Aktion auszulösen.
Das spielt jetzt alles keine Rolle mehr. Robert ist glücklicher Vater von zwei Töchtern. Er liebt seine Frau, und dennoch hatten sie auch ihre privaten Bereiche, bei denen sie nicht versuchten, sich gegenseitig die Freiräume zu beschränken. All diese Freiräume waren gerade gefüllt worden mit Inhalten, die in vielen Beziehungen für so etwas wie Montageschaum bei einer beginnenden Entfremdung bewertet werden. Ehepaar Rise hatte es lange geplant. Sie haben nun ihre Wunschkinder.
Robert weiß nicht, dass seine Vergangenheit ihn einholen wird, dass er nun seine Fähigkeiten zumeist einsetzen wird, um die zu beschützen, die er liebt.