Dogs' Talks
Folge 3
Doppelgänger
Ich liebe Montage. Montags ist es relativ ruhig in unserer Trattoria. Vor der Coronazeit war es noch ruhiger, denn da war sonntags und am Montag die Trattoria geschlossen. Wir konnten es uns leisten, nicht sieben Tage die Woche zu arbeiten, weil allein das Geschäft von Donnerstag bis Samstag so überwältigend gut war, dass mein Padrone nicht einmal einen preisreduzierten Mittagstisch anbot. Der Sonntag gehörte allein der Familie und war mein Lieblingstag. Am Montag wurde schon wieder etwas gearbeitet, Dinge bestellt, geholt und vorbereitet, aber da schon am frühen Nachmittag eines erledigt war, und keine Gäste kamen, hatten wir alle mehr Zeit, vor allem, um sich um die Kinder, aber vor allem um mich zu kümmern.
Sonntags wurde wirklich nicht gearbeitet. Die ganze Familie lag in ihrem Körbchen und war nur schwer zu bewegen, diese zu verlassen. Forschung zu ruhig. Corona hatte alles verändert. Die Rücklagen sind durch die Ausfallzeiten aufgefressen worden. Kunden hatten sich an die Lieferdienste gewöhnt. Nach Corona war alles anders. Für die Gastronomie war kaum noch Personal zu bekommen. Und wir hatten, seitdem wir auch drinnen wieder Gäste bewirten dürfen, sieben Tage die Woche geöffnet. Es wurde ein Mittagstisch mit täglich wechselnden Gerichten eingeführt, und bei den wachsenden Energiekosten und Rohstoffkosten wurden vor allen Dingen die Getränke ein wichtiger Umsatzbringer.
Ich, Alberto, gehe Seite an Seite mit meinem Herrchen in den Englischen Garten. Ich liebe es. Im Gegensatz zu seiner Frau und den Kindern spielt er nicht viel mit mir, aber das braucht er auch nicht, wenn ich mit den anderen Hunden nicht sportlich betätige oder mich unterhalte. Natürlich jage auch ich ganz gern mal einen zerkauten Ball hinterher, allein um mich zu bewegen und zu zeigen, wie wendig ich trotz meiner Figur und meines Alters noch bin. Am liebsten habe ich aber Kraftspiele, wo es um Brücken schieben und lange entgegengehalten geht. Da bin ich stur und schwer von der Stelle zu bekommen.
Wir gehen durch den Park, direkt auf die große Wiese. Unten sind sie schon, die anderen, meine Freunde und Bekannte. Meine besten Freunde in der Runde sind Johnny und Paulchen. Johnny, weil er als Bandmitglied auch viel mit lauten Menschen zu tun hat, von denen sich auch etliche für etwas Besonderes halten. Johnny ist ´ne coole Fellmütze. Paulchen ist pure Freundlichkeit und gute Laune steckt einfach an. Er ist unvoreingenommen und freut sich erst mal auf alles, bis er eines Besseren belehrt wird. Paulchen und andere sind noch nicht da, aber vielleicht kommen die heute auch nicht. Wir Hunde erfahren immer als Letzte, wenn es Planänderungen gibt.
Chiao Belli. Wie läufts? Ihr wart beide gestern nicht hier.
Wir hatten Konzertprobe. Es hat den ganzen Tag gedauert und ich war nur kurz mal auf der Straße vor dem Probenraum. So verdammt lang gedauert, weil Guido ausgerechnet kurz vor der Tour sich überlegt hat, ein komplett neues Pedal Board für seine Gitarren zu bauen. Es war menschlich laut und er probierte und probierte, während wir alle warteten.
Was ist ein Pedal Board?
Wozu braucht man ein Pedal bei einer Gitarre?
Elektrische Gitarren haben Tonabnehmer. Das alleine ist schon eine Wissenschaft für sich, und je nachdem, welchen Typ, wie die Stifte sind, die Spulenwicklung oder welches Fabrikat du nimmst, verändert sich der Ton hier schon. Kommt natürlich darauf an, was für Gitarrensaiten du nimmst und mit was und wie du welche Seite in Schwung bringst und wie du gleichzeitig die Tonhöhe mit dem anderen mit der anderen Pfote festlegt.
Und wozu dann noch ein Board?
Das ist ja das Fiese und auch das galaktisch Coole. Es hört nicht auf. Da sind deiner Fantasie keine Grenzen gesetzt. Das Board ist nur das Brett oder die Kiste, in die das Tonsignal elektrisch eingeht und auch wieder rausgeht. Dazwischen hängst du verschiedene Geräte, mit verschiedenen Einstellungen, durch die das Tonsignal nacheinander läuft und verändert wird. Mit einem Pedal aktivierst du die Veränderung. Fast jedes kleine Gerät auf dem Board hat andere Funktionen und Einstellungsmöglichkeiten. Du kannst es zu- oder umschalten.
Klar dass es verschiedene Töne gibt. Aber warum noch mal ein und denselben Ton verzerren. Ein und derselbe Ton muss nun einmal gleich sein.
Immer gleich? Das kann ich mir nicht vorstellen. Unsere Stimmen sind auch verschieden. Wir können es ja mal probieren, den gleichen Ton zu singen. Wetten, der klingt immer anders! Ich glaube, nichts auf der Welt ist identisch und hat eine genau gleiche Kopie, außer Golden Retriever vielleicht. Seht mal, da sind Jenny und Carmen. Ich müsste an ihnen riechen, um sie zu unterscheiden.
Stimmt schon, irgendeinen kleinen Unterschied gibt es immer, sogar beim Gang. Das ist nämlich nicht Carmen, sondern Gertrud.
Nein, die rechte Dame ist bestimmt Carmen.
Rechts ist Jenny, links ist Gertrud. Ich kann es spüren. Bei Menschen ist es schwieriger. Die sehen wirklich fast alle gleich aus.
Schon wahr, aber auch da gibt’s Unterschiede, und am Geruch kann man sie gut auseinanderhalten. Aber einige wollen ja nicht mal das.
Wie? Sie wollen gleich aussehen und auch noch gleich riechen?
Das ist so. Es gibt da gerade einen Präsidenten, von dem könnte man denken, dass er an mehreren Orten gleichzeitig sein kann, nur weil er sich ein paar Doppelgänger gekauft hat.
Was soll das für einen Sinn machen? Wenn er einmal raus muss und es regnet gerade, dann kann das doch keiner für den anderen übernehmen.
Aber praktisch wäre es.
Das ist noch viel abgefahrener und irgendwie schon wieder cool. Er sitzt zuhause und guckt im Fernsehen, wie seine Doppelgänger draußen, wo es gefährlicher ist, unwichtige Dinge machen.
Oh nein. Das ist ja peinlich, wenn das rauskommt.
Muss nicht sein. Wenn viele es glauben wollen, dass das die gleiche Person dieselbe Person ist, kann das funktionieren und wenn diejenigen, die es nicht glauben, ihr Maul öffnen, wird es einfach abgestritten, dass das ein Doppelgänger war. Außerdem macht der Typ so viele peinliche Sachen, dass es darauf nun auch nicht mehr ankäme.
Ah, da kommt George.
Tag zusammen. Was ist los mit euch? Kritisches Thema? Gibt es Gewitter?
Wir sprechen über Menschen und ihre Doppelgänger. Gerade sprechen wir über einen menschlichen Präsidenten.
Ich weiß, wen ihr meint. An dem Kerl ist wirklich alles menschlich: Seine Ich-Bezogenheit und seine Angst. Von der Gier wollen wir gar nicht mal sprechen, dann hätte er Milliarden von Doppelgängern. Auch wenn sie alle anders aussehen würden.
George, würdest du ihn erkennen – oder einen Doppelgänger von ihm?
Natürlich. Im Fernsehen ist es natürlich schwieriger. Ob Mensch oder Hund, wenn sie schon ein paar Jahre auf der Welt sind, kann man ihnen einen Teil ihres Lebens anhand der Haltung und der Bewegung ansehen. Gar nicht davon zu sprechen, dass auch bei Menschen die Haare unterschiedlich stark wachsen und auch nicht nur einmal gerade lang runterhängen, sondern auch einzelne Wirbel haben.
Mir würde das gar nicht gefallen, wenn eine andere Band heißen würde wie wir, sie so aussehen würden wie wir, und auch noch unsere Musik spielten.
Witzig. Auf der einen Seite möchtest du nicht, dass eure Bernd von einer anderen Bernd gecovert wird, obwohl es Ausdruck eures Erfolges ist, und auf der anderen Seite lässt sich ein Präsident extra doubeln, was Ausdruck seiner Ängste ist.
Ausdruck seiner Was? Du spinnst wohl! Den Schwanz kneift er ein, wenn es nicht um die anderen, sondern um ihn geht. Was sollen bloß seine Hunde von ihm denken?
Also wirklich. Wenn wir als Band unterwegs sind, haben wir auch Security dabei.
Das ist etwas völlig anderes.
Ach ja?
Das ist etwas anderes, da hat Alberto recht. Während die Security darauf aufpasst, dass der Band nichts passiert und dass die Menschen beim Konzert nicht verletzt werden, setzt der kleine Diktator Doppelgänger ein, für den Fall, dass etwas passiert, um sie zu opfern.
Oh Mann, der ist ja wirklich auf den Hund gekommen. … Da kommt Bienchen mit ihrem flotten Frauchen. Hallo Bienchen. Seid ihr beiden Hübschen wieder unterwegs, um euch, wie sagt ihr, etwas frisch zu machen?
Benimm dich bitte etwas Johnny! Es gibt Dinge, die weiß man, aber darüber spricht man nicht.
Wieso nicht darüber sprechen? Es ist doch alles natürlich.
Deshalb ja. Da muss man nicht so wie du, vor jedem, der es nicht wissen will, den Buckel krumm machen und so tun als würde man eine Glanzleistung vollbringen.
Wie sind wir denn heute drauf? Zu früh und mit der falschen Pfote aufgestanden? War das Frühstück zu gesund? Was ist los?
Du hast ja recht, Alberto. Heute Morgen hatten wir schon drei Termine. Endlos lange Gespräche und ob daraus was wird, erfahren wir in Wochen, wenn es gut geht, oder wir müssen noch mal für Rückfragen dahin oder noch schlimmer: Sie kommen zu uns und fassen mich ungefragt an, weil sie ihre Tierfreundlichkeit zeigen wollen. Manchmal wünsche ich mir, da würde ein Stoffhund, der genauso aussieht wie ich, im Körbchen liegen, den sie ungefragt anfassen, während ich einfach spazieren gehe oder mich richtig ausschlafe.
Johnny! Doppelgänger für die Arbeitsteilung nutzen. Das ist es! Wahrscheinlich sehen deswegen Golden Retriever alle gleich aus. Es sind wahrscheinlich viel mehr, als wir vermuten. Wir sehen nur die, die freudestrahlend um die nächste Zuwendung betteln oder etwas erledigen wollen, während die andere Schicht sich erholt – in der Bahnhofskneipe, unterm Daddelautomaten liegt oder etwas macht, was gar nicht zu einem Trendhund passt.
Bahnhofskneipe, Spielautomat, ich bitte dich Alberto. Mit einem hast du recht: Es macht viel mehr Sinn, zu überlegen, was das Original in der gewonnenen Zeit veranstaltet, während der Doppelgänger in der Öffentlichkeit ist, als über den Doppelgänger an sich nachzudenken.
Ich wollte eigentlich nur sagen, dass ich es nicht abkann, wenn mich jeder einfach anfasst.
Schon klar, Bienchen, bei uns bist du sicher und wir können uns benehmen.
George, das wird ja immer wilder. Dann hätte der Diktator ja die Doppelgänger nicht nur als Kugelfang, sondern um selbst auch um ein Doppelleben zu führen.
Kann man nicht rausbekommen, wo das Original rumtreibt, während die Doppelgänger im Fernsehen sind?
Es wissen genug Leute. Sowohl die eigenen, eingeweihten Leute und Personal, aber auch die geheimen Dienste, wenn die überhaupt Interesse dran haben. Schließlich ist der Himmel voller Satelliten. Selbst wir können die Doppelgänger erkennen. Das sogar ohne technische Hilfsmittel.
Stimmt, der Himmel ist voll davon. Meine Nachbarschaft kann von Glück reden, dass ich kein Wolf bin und ich den Mond anheule oder jeden einzelnen Satelliten.
Du und ein Wolf? Willst du dich interessant machen?
Was heißt hier interessant machen? Ich bin Italiener. Ich bin interessant.
Du ein Italiener? Du bist eine französische Bull …
Ich muss los. Frauchen drängelt. Macht’s gut, Leute. Bis morgen.
Ciao, stella!
Wo sind Spliff und Kate eigentlich?
Die wollten heute in die Therme fahren. Mit der ganzen Familie. Solange das Wasser noch warm und die Saunen noch an sind. Sie sind heute bei der Verwandtschaft. So, Freunde, ich muss auch los. Mein Begleiter hat heute noch ein Date und will sich drauf vorbereiten. Der schon ganz aufgeregt.
Wie kommt der denn zu einem Date? Er bewegt sich kaum, er spricht kaum und sieht nach nichts aus.
Online-Kontaktportal. Es scheint mehrere Verzweifelte zu geben, die möglichst viele Fragen durch das Ankreuzen eines Fragebogens vorab klären wollen. Also macht’s gut.
Ich muss auch los. Giovanni kommt gleich mit dem Obst, Kräutern und Gemüsen. Lieferung aus Italien. Wenn die Hecktür vom Transporter aufgeht, riecht es nach Italien. – Azurro – wuff wuff wuff wuff – wuff wuff wuff wuff – wuff – wuff wuff ..