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Schönheit liegt im Auge

Wohnbau Ch Speck

Schrifteinstellung

An einem sonnigen Morgen in schon warmen, späten Apriltagen schlüpfte ein Entenküken aus seinem Ei. Sie wusste noch nicht, dass sie Tapsi heißen würde, denn Enten geben ihren Kindern erst nach dem Schlüpfen ihren Namen.

Jäger & Söhne

„Habe ich dir in deiner Kindheit eine Watschn zu viel oder zu wenig gegeben?“

„Günter, wie redest du mit dem Jungen?“

„Was wuist du denn? Du bis nicht seine Mutter. Bist jünger als er, auch wenn man es nicht mehr sieht. Ist doch wahr. Eine Watschn mehr und der Groschen wäre bei dem Trottel gefallen, oder eine weniger und die Schraube bei ihm wäre nicht locker. Wie man’s macht. Da hockt er, die Hoffnung meiner Lenden, denn sein kleiner Bruder ist ein dusseliges Spielkalb, das Muttersöhnchen. Es ist zum Speien. Alles muss ich selbst in die Hand nehmen.“

Es ist nicht so, dass der jüngere Sohn, dem ebenfalls einige Beleidigungen gelten, nicht auch zugegen ist. Es ist ein typischer Sonntagmorgen in Burgersbrunn, einem eingestädterten ehemaligen Vorort von München, der in südöstlicher Richtung, noch innerhalb und mit einigen Höfen auch außerhalb des Münchner Autobahnrings liegt. Aus der Luft kann man das Dilemma deutlich erkennen: Die noch fehlende, nicht vollzogene Flurbereinigung zeigt, wie sich die Felder konzentrisch an das kleine Dorf klammern. Nur zu deutlich ist zu sehen, wie klein die Flächen sind, die jeweils von den Landwirten am Ort bestellt werden. Wohl dem, der auch Flächen außerhalb hat, die aussichtsreich gelegen sind, um bei der Stadterweiterung Münchens als Bauflächen eine Aufwertung zu erfahren.

Bei Familie Speck ist noch alles in Ordnung. Die Dachlandschaft des verwinkelten und mehrfach an und umgebauten Walmdachbungalows mit den glasiert-gebrannten, geraden Dachpfannen glänzt königsblau in der Morgensonne. Das stählerne, weiß lackierte, zweiflüglige und mit glücklicherweise schon elektrischem Motor betriebene Gartentor für den häufigen Personenverkehr in Fahrzeugen unterschiedlicher Güte war gerade pflichtgemäß geschlossen worden und auch die Tür für Fußgänger ist zu. Gefasst sind die Türen von insgesamt drei gemauerten, weiß gebrannten Pfeilern, auf denen sich jeweils eine auf einem gusseisernen Stab befindliche kreisrunde Lampe befindet. Unfassbar, wie es die Familie schaffte, dass die anfälligen braungelblichen Strukturglaskörper nicht kaputt gingen. Noch beachtlicher wäre es, wenn sie kaputt gingen und die Familie Speck Ersatz dieser scheußlichen Relikte vergangener Tage tatsächlich irgendwo bekommen hätte. Solange etwas funktioniert oder einfach zu reparieren ist, wird nichts Neues angeschafft. So die Devise von Vater Speck, der sich allerdings nicht lumpen lässt, einem Nachbarn oder Immobilienhai zu zeigen, wo auf der Ausgabenseite der Hammer hängt, wenn es um sinnlose Angeberei geht. Es stehen gerade auch keine Fahrzeuge in der kreisförmigen Auffahrt vor dem Haus. In der Mitte der Auffahrt steht ein Brunnen, und davor an der Gabelung bzw. Zusammenfassung der Auffahrt steht ein Fahnenmast, an dem zumeist die bayerische Flagge hängt, beziehungsweise theatralisch gehisst wird, wenn Gäste von außerhalb zu dinieren weilen. An der Stelle, wo der Mittelkreis Richtung Haus weist, steht eine doppelt lebensgroße, aus Bronze gegossene Büste des Patrons der Familie und auch der unumstrittene Chef seiner Firma, die er rechtlich vor zwei Jahren in die Verantwortung seiner Söhne übergeben hatte.

Er, Vater, sitzt gerade einmal wieder auf der Terrasse des Hauses, unweit des Pools, wieder an der Tatsache verzweifelnd, dass er, seiner unbestreitbaren Meinung folgend, faktisch keinen geeigneten Nachfolger aus seiner Familie für seine Unternehmen hat. Dabei hatte er die Geschäftsführung bereits vor zwei Jahren an seinen ältesten Sohn, der in jetzt wieder so fragend ansah, übergeben. Dieser sollte eigentlich auch seinen jüngeren Bruder im Job anlernen.„Nichts hast du gelernt, gar nichts. Du hättest eine gescheite Maurerlehre machen sollen, anstatt Wirtschaftswissenschaften übern zweiten Bildungsweg abzusitzen. Du kannst nichts aber hast Ansprüche, als hättest du schon irgendetwas geleistet.“Der alte Rumpler steht vom weißen Plastikmobiliar mit den gelb-weiß gestreiften Sitzkissen auf, geht einige Schritte, nimmt die Hände in die Hüften und blickt, den Rücken seiner Familie zugewandt, über den Pool in den Garten und darüber hinaus, wo er in fünfundvierzig Kilometern Entfernung die bayerischen Vorarbeiten sehen kann. Die Söhne sind beide noch da. Sie sitzen am Tisch und sie essen weiter. Derartige Wutausbrüche ihres Vaters sind nicht unüblich. Das macht er nicht nur sonntags, sondern auch vor den Mitarbeitern, im Büro und auf der Baustelle. Vor Auftragnehmern, in der lokalen Bank und vor Geschäftspartnern macht es nie. Da spricht er mit Engelszungen und lobt nicht zuletzt seine Weitsicht und Bescheidenheit, noch zu Lebzeiten die Nachfolge selbstlos und mit Feingefühl geregelt zu haben, wobei das Thema „Vorschusslorbeeren“ bei Auftragnehmern sehr schnell kippen konnte. Die Söhne waren beide zu Fuß gekommen. Man gibt sich bodenständig in dem Ort, in den der Vater hineingeheiratet hatte, in dem er, der selber als Flüchtling kam, die Tochter eines Landwirtes und Kleinst-Bauunternehmers geschwängert und folgerichtig geheiratet hatte.

Der Bauernhof war nicht groß, aber er wurde dennoch kleiner, weil die Ländereien oder besser die zu beackernden Flecken mit der Zeit begehrte Baulagen wurden. Es hat seine Vor- und Nachteile, im Münchner Speckgürtel zu wohnen und Grundstücke zu besitzen – selbst wenn man Speck heißt. Identitätsverlust kann durchaus lukrativ sein.